Autonomes Fahren auf der Schiene? Das ist längst Realität!

Wer den Begriff „autonomes Fahren“ hört, der denkt mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst einmal an Elon Musk mit Tesla oder irgendeinen anderen Automobilhersteller. An das Bahnwesen dürften die wenigsten spontan denken. Auch wenn vielen Menschen inzwischen durchaus bewusst ist, dass der Schienenverkehr eine zentrale Rolle in der Diskussion über die Zukunft der Mobilität einnimmt. Aber autonomes Fahren auf der Schiene? Ja! Denn Fakt ist: Autonome Bahnsysteme bieten effiziente Lösungen in Bezug auf Sicherheit, Kapazität und Energieeffizienz, also für sämtliche Herausforderungen, die mit der Verkehrswende einhergehen.

Das Bahnwesen wird als Teil der „Old Economy“ und im Vergleich zur Luftfahrt oder Automobilindustrie oft als eher konservativ betrachtet. Zum einen liegt das an der langen Geschichte der Eisenbahn, die bereits im 19. Jahrhundert begann, zum anderen an der teilweise extremen Langlebigkeit der verbauten Elemente. Aber auch, wenn die Eisenbahnindustrie auf eine lange Tradition zurückblickt, die Bahnindustrie entwickelt sich kontinuierlich weiter und setzt auf moderne Technologien, welche die Effizienz, Sicherheit und Umweltfreundlichkeit des Schienenverkehrs nachhaltig verbessern. Dazu gehören unter anderem Hochgeschwindigkeitszüge, automatische Zugkontrollsysteme, die Elektrifizierung von Strecken, der Einsatz fortschrittlicher Signaltechnologien und vieles mehr. Ein verstärkter Fokus liegt in diesem Zusammenhang zudem auf Innovationen wie dem autonomen Fahren, intelligenten Verkehrsmanagement-Systemen, dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), Anwendungen im „Internet of Things (IoT)“ und grünen Technologien. Die Bahnindustrie muss sich also nicht verstecken, wenn es darum geht, mit den zahlreichen Anforderungen an moderne Mobilität Schritt zu halten.

Automatisierung ist komplex und umfasst verschiedene Stufen

Marcus Falkenberg, Geschäftsführer bei der BBL Bahnbau Lüneburg GmbH und zuständig für den gesamten Bereich der Elektrotechnik, unterstreicht die Vielfalt im Bahnwesen: „Es ist wichtig zu verstehen, dass das Ausmaß der Modernisierung und auch die Innovationsbereitschaft im Bahnwesen von Land zu Land und von Unternehmen zu Unternehmen variiert. Während einige Länder und Unternehmen die Einführung moderner Technologien konsequent vorantreiben, halten andere zum Teil länger an traditionellen Methoden und Systemen fest. Einfach, weil sie sich in der Vergangenheit durchaus bewährt haben. Insgesamt ist das Bahnwesen jedoch dabei, moderne Technologien Schritt für Schritt zu integrieren, um so den aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen Rechnung zu tragen und die Effizienz des Schienenverkehrs nachhaltig zu verbessern.“

Die Geschichte des autonomen Fahrens im Schienenverkehr blickt inzwischen auf eine 40-jährige Historie zurück, denn bereits 1983 würde in Frankreich in Lille die erste fahrerlose U-Bahn in Betrieb genommen. Aber auch in Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche und erfolgreich umgesetzte Projekte. Beispielsweise die vollautomatisierten U-Bahnlinien U2 und U3 in Nürnberg, das Flughafen-Shuttle SkyTrain am Flughafen Düsseldorf oder die SkyLine-Bahn am Frankfurter Flughafen. Und in Hamburg wird unter dem Titel „Digitale S-Bahn Hamburg“ aktuell ebenfalls ein Projekt rund um das Thema vorangetrieben. Wichtig ist dabei zu wissen, dass autonomes Fahren auf der Schiene nicht nur bedeutet, dass Züge vollständig automatisch und ohne Fahrer unterwegs sind. Vielmehr werden 5 Grade der Automatisierung unterschieden.

Automatisierungsgrade nach IEC 62267 (Grade of Automation, GoA)

GoA-Stufe
Beschreibung
GoA 0

Diese Stufe beschreibt ein Eisenbahnsystem ohne Automatisierung. Die gesamte Zugbedienung und Steuerung wird von menschlichen Bedienern durchgeführt. Diese rein manuelle Fahrt auf Sicht (engl. on-sight train operation) ist vornehmlich auf älteren oder kleineren Bahnsystemen im Einsatz.

GoA 1

Eisenbahnsysteme mit begrenzter Automatisierung sind der Stufe GoA 1 zugeordnet. So kann z. B. ein automatisches Zugsicherungssystem zur Vermeidung von Kollisionen vorhanden sein, aber für die Bewegung und Geschwindigkeit des Zuges ist immer noch der Zugführer verantwortlich.

GoA 2

Als System der Stufe GoA 2 sind Bahnsysteme mit vergleichsweise hoher Automatisierung klassifiziert. Es wird auch vom halbautomatischen Zugbetrieb besprochen. Die Fahrt vom Start bis Stopp wird vollautomatisch durchgeführt, jedoch löst der Fahrer die Abfahrt aus und ist für die Türsteuerung zuständig. Im Bedarfsfall kann er die Fahrsteuerung sofort übernehmen.

GoA 3

Diese Stufe bezeichnet den fahrerloser Zugbetrieb; es gibt lediglich noch einen Zugbegleiter. Dieser ist für die Türsteuerung zuständig. Im Notfall kann der Zugbegleiter den Zug über ein spezielles Bedienfeld, einen Hilfsführerstand, bewegen.

GoA 4

Vollautomatischer Fahrerloser Zugbetrieb, bei dem sich kein Personal im Zug befindet und alle Operationen voll automatisiert sind. Die Leitstelle kann in den Zugbetrieb eingreifen.

Rund ums autonome Fahren kommt der Elektrotechnik eine Schlüsselrolle zu

Der Elektrotechnik schafft die Voraussetzungen für jedwede Form der Automatisierung. Ihre Aufgabe ist es, die verschiedenen Aspekte des autonomen Fahrens im Bahnwesen zu integrieren und sicherzustellen, dass die Züge effizient, sicher und zuverlässig betrieben werden können. „Es geht um ein komplexes Zusammenspiel von fortschrittlicher Signal- und Fahrzeugtechnik sowie entsprechend ausgerüsteten Bahnanlagen. Nur wenn alle Komponenten fehlerfrei ineinander greifen, kann auf Grundlage einer störungsfreien Kommunikation der sichere Betrieb gewährleistet werden“, erklärt Marcus Falkenberg. Damit die Technik sämtliche Abläufe, die bisher von einem Lokführer übernommen wurden, im vollautomatisierten Betrieb übernehmen kann, müssen Strecken, Fahrzeuge und Bahnanlagen mit entsprechenden Technikkomponenten ausgestattet sein. Im Zuge der Digitalisierung kommen dabei immer leistungsfähigere Systeme zum Einsatz. Folgende Aspekte sind für den autonomen Bahnverkehr von besonderer Bedeutung.

Sensoren und Signaltechnik

Eine selbstfahrende Bahn benötigt viele Informationen, insbesondere über die Strecken, auf denen sie im Einsatz ist, über ihre eigene Position und die der anderen Bahnen im Schienennetz. Elektrotechnische Sensoren und Signale entlang der Gleise erfassen verschiedene Parameter wie Geschwindigkeit, Abstand zu anderen Zügen, Position auf der Strecke und Umgebungsinformationen. Diese Daten sind unverzichtbar für die sichere Steuerung und Navigation autonomer Züge.

Kommunikationssysteme und Fahrzeugtechnik

Die Elektrotechnik schafft die Basis für den Einsatz leistungsstarker Kommunikationssysteme, die eine zuverlässige Datenübertragung und den Informationsaustausch zwischen den fahrerlosen Bahnen und dem zentralen Kontrollzentrum in Echtzeit sicherstellen. Ergänzend zu der zentralen Recheneinheit im Kontrollzentrum müssen die Fahrzeuge mit speziellen Systemen, konkret der automatischen Zugsicherung (engl. Automatic Train Protection, ATP) und automatischen Zugsteuerung (engl. Automatic Train Operation, ATO) ausgerüstet sein. Während die Zugsicherung Zugabstände und Geschwindigkeiten errechnet und kontrolliert, ist die Zugsteuerung für das autonome Fahren zuständig. Da alle fahrerlosen Bahnen zudem auch ununterbrochen Informationen miteinander austauschen, wird das System übergeordnet auch als kommunikationsbasierte Zugkontrolle (engl. Communication Based Train Control, CBTC) bezeichnet.

Automatisierte Steuerung der Fahrzeuge und Bahnanlagen

Elektrotechnische Systeme steuern und automatisieren verschiedene Funktionen im Zug, einschließlich Beschleunigung, Bremsen, Türsteuerung und Fahrgastinformationssysteme. Diese Systeme müssen präzise und zuverlässig sein, um die Sicherheit der Passagiere zu gewährleisten. Selbstfahrende Bahnen benötigen für den betrieblichen Ablauf keinerlei Personal mehr. Ein gefahrenträchtiger Moment ist jedoch das Zu- und Aussteigen der Fahrgäste. Bahnsteige können auf verschiedene Arten überwacht und gesichert werden. Einige Städte setzen auf Bahnsteigtüren, die vor der Abfahrt des Zuges schließen. Andere dagegen überwachen die Bahnsteige per Radar, um die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten.

Monitoring, Wartung und Diagnose

Rund um das autonome Fahren spielt auch die Fernüberwachung und -diagnose von Fahrzeugen eine zentrale Rolle. Auch hier müssen die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sein, um den Zustand der Züge in Echtzeit überwachen zu können, damit mögliche Probleme frühzeitig erkannt und Wartungsarbeiten rechtzeitig durchgeführt werden können.

Energieversorgung

Die Elektrotechnik ist darüber hinaus verantwortlich für die gesamte Energieversorgung der Züge. Hier gilt es Lösungen für die Energieerzeugung, -speicherung und -verteilung zu entwickeln, um den reibungslosen Betrieb der autonom fahrenden Züge sicherzustellen.

Hat der Beruf des Lokführers angesichts zunehmender Automatisierung ausgedient?

„Nein!“, ist sich Marcus Falkenberg sicher, „auch in Zukunft werden Triebfahrzeugführer gebraucht. Sie werden auch weiterhin den Großteil von Personen und Gütern auf der Schiene befördern. Autonomes Fahren ersetzt den Lokführer nicht. Aber selbstfahrende Bahnen schaffen zusätzliche Kapazitäten und Angebote. Denn Fakt ist leider auch, dass den Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland rund 1.500 Lokführer fehlen. Tendenz steigend. Trotz hervorragender Berufs- und Zukunftsaussichten. Dass die Nachfrage nach automatisierten Lösungen angesichts dieses Fachkräftemangels also sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr kontinuierlich steigt, ist nur die logische Konsequenz daraus. Zudem ja im Rahmen der Verkehrswende zukünftig noch mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden soll. Der automatisierte Bahnbetrieb bietet viele Vorteile und hilft an dieser Stelle, das erhöhte Verkehrsaufkommens auch tatsächlich zu bewältigen. Daher ist es vielmehr so, dass Lokführer durch die modernen Lösungen des autonomen Fahrens spürbar entlastet werden, weil beispielsweise ein durchgängiger U-Bahnbetrieb während der Nacht oder ein uneingeschränkter Verkehr an Feiertagen gewährleistet werden kann, ohne dass es mit Einschnitten im Privatleben verbunden ist. Vielleicht macht das mittelfristig den Beruf des Lokführers auch für junge Menschen wieder attraktiv.“

Die Vorteile automatisierter Bahnsysteme auf einen Blick:

Flexibilität

Selbstfahrende Bahnen können schnell auf Veränderungen im Fahrgastaufkommen reagieren, zum Beispiel bei Großveranstaltungen, ohne die ursprüngliche Personaleinsatzplanung zu beeinträchtigen.

Pünktlichkeit

Durch zentrale Steuerung und Überwachung, kombiniert mit berechenbaren Beschleunigungs- und Fahrtkurven, können Ankunfts- und Abfahrtszeiten sehr präzise berechnet werden.

Kapazität

Selbstfahrende Bahnen können enger getaktet werden, was zu höherer Auslastung des Netzes führt und mehr Fahrgäste befördern kann.

Verfügbarkeit & Verlässlichkeit

Autonome Bahnen sind konstant in ihrer Fahrt und sammeln ständig Daten, um Verschleiß oder Defekte frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Dies führt zu kürzeren Wartungszeiten und geringeren Ausfallrisiken.

Energieeffizienz

Autonome Systeme können die optimale Beschleunigung eines Zuges berechnen und dabei verschiedene Daten, wie das Gewicht der Fahrgäste und die Streckencharakteristiken, berücksichtigen. Zusammen mit der Rückgewinnung von Energie beim Bremsen können sie bis zu 30 Prozent Energie einsparen.

Fazit - und wie geht es weiter?

Autonomes Fahren auf der Schiene ist längst Realität und bildet einen entscheidenden Pfeiler in der modernen Verkehrswende. Diese Technologie verspricht nicht nur gesteigerte Effizienz und Sicherheit im Schienenverkehr, sondern ebnet auch den Weg für eine nachhaltige Zukunft im öffentlichen Personennahverkehr und Güterverkehr.

Marcus Falkenberg, Geschäftsführer der BBL

Marcus Falkenberg bringt es auf den Punkt: „Die Ansätze des autonomen Fahrens auf der Schiene sind ausgesprochen vielversprechend. Jetzt geht es darum, diese Ansätze zu verfeinern und skalierbare Lösungen zu entwickeln, um so die Kapazitäten der Schienennetze zu optimieren und die Zuverlässigkeit der Transportdienste zu steigern. Denn auch wenn in den letzten Jahren schon viel passiert ist, im Grunde stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung. Entsprechend positiv blicken wir bei der BBL Unternehmensgruppe in die Zukunft, denn rund um dieses Thema gibt es für uns noch viel zu tun. Das freut uns, denn so können wir unsere Stärke – unser breitgefächertes Know-how und Expertenwissen – aktiv und langfristig einbringen. Und zwar im Sinne eines nachhaltigen Umweltschutzes für kommende Generationen und des erfolgreichen Fortbestehens unseres Unternehmens mit all seinen Mitarbeitern!“

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